Zusammenfassung (Syllabus) von M. Sarkisyanz, Adolf Hitlers englische Vorbilder
(Copyright M. Sarkisyanz; übers. v. U. Witzens)
Anders als für Deutschland ist folgende Einsicht in England kein Tabu: "Britische Ideen... besonders die Einstellung gegenüber Rasse und dem Einfluß des Sozialdarwinismus... sollten eine große Rolle bei der Formierung faschistischer Ideen im allgemeinen und Nazi-Ansichten im besonderen spielen" (Paul Hayes (1). Es ist eine Tatsache, dass insbesondere Hitler England in einem Maße idealisierte, wie es kein anderer deutscher Staatsmann je getan hat. Und: Nie erhielt die Expansionspolitik einer deutschen Regierung so viel britische Duldung und Ermutigung wie die von Hitler. Sein Ideologe expansiver Politik, Hans Grimm, nannte Deutschlands Aufgabe "britischer Vorposten im Osten zu sein" (2). Und Hitlers "Mein Kampf" tadelte frühere deutsche Regierungen für ihre Weigerung, " für England die Kastanien aus dem Feuer zu holen" (3). Sogar mitten im Krieg, 1941, offenbarte Hitler: "Ich freue mich..., dass England und Deutschland vereint antreten werden...Ich bewundere sie...Da haben wir noch viel zu lernen" (4).
Bekannte nicht schon Carlyle, dass "Macht Recht bedeutet" - und dies aus dem Cromwellschen Bewußtsein einer vom Allmächtigen auserwählten Rasse? "Nur in England konnten sich Rassenideologien direkt aus der nationalen...Tradition...entwickeln", schloss die Soziologin Hannah Arendt (5). Es war Disraelis rassische Solidarität mit der Arbeiterklasse, als Basis für Imperialismus, die eifrig von Deutschland imitiert werden sollte (6) - mit Ansprüchen "eines Blutadels zur Herrschaft über andere Rassen" (7). Daß alles Rasse ist und es keine andere Wahrheit gebe, schrieb Disraeli (8), britischer Premierminister von 1874-1880. Genau dies wurde ein Lieblingszitat von Hitlers schlimmsten Juden-Hetzer, dem notorischen Julius Streicher (9). Er und SS-Führer Himmler waren von dem Engländer Houston Stewart Chamberlain inspiriert. Und nachweislich war es sein inspirierender Einfluß, welcher Hitlers Antisemitismus zur Vorbereitung des Genozids veranlasste (10). Der Brite H.S. Chamberlain wird sowohl in der angelsächischen als auch in der deutschen Nachkriegsliteratur über den Nazismus beinahe völlig ignoriert. Aber die Nazis kannten ihn besser. "Heute ist es der Engländer Chamberlain, der... Adolf Hitler von der ersten Zeit seines Werdens an als den vom Schicksal Auserkorenen erkannt hat...," schreibt ein Bewunderer Hitlers im Jahre 1936 (12). Denn dies verkündete Chamberlain schon 1916: "Die Deutschen stehen bereit. Ihnen fehlt nur der vom Heiligen Geist eingesetzte Führer" (13). Goebbels (der wünschte, dass die Deutschen nach dem Vorbild der Public Schools erzogen werden, dass sie würden wie die Engländer), - für den "Macht und Größe Englands die Leitsterne" waren, verehrte H.S. Chamberlain als "den britischen Bahnbrecher und Wegbereiter des Dritten Reiches", "Vater unseres Geistes" (14). Und doch ist es eine Tatsache, dass das Hauptwerk dieses Inspirators Hitlers in England seit 1911 sehr bewundert wurde - sogar von Winston Churchill (15). H.S. Chamberlain war der Sohn eines Britischen Admirals, Neffe eines britischen Generals und Feldmarshalls, der den Indischen Aufstand von 1857 niedergeschlagen hatte. Seine Philosophie des Völkermords wurde am Zenith des britischen Imperialismus als "Wissenschaft" gehandelt. Sogar ein radikaler Liberaler, Sir Charles Dilke, rechtfertigte die allmähliche Auslöschung "niederer" Rassen als ein Naturgesetz - und als Segen für die Menschheit (16).
Nicht nur erinnerte Jawaharlal Nehru daran (was die Soziologin Hannah Arendt bestätigte), dass der Faschismus großenteils radikalisierter kolonialer Imperialismus war, nur in Europa selber angewandt. Dementsprechend wurden die britischen Faschisten eng mit "Loyalität zum Empire" assoziiert.
Ihr Vorgänger, Lord Alfred Milner, betrachtete das Empire als lebensnotwendig für die britische Rasse - und den Parlamentarismus für das Empire als solch ein Risiko (im Jahre 1912, bezogen auf Irland), dass er zu einer Auflehnung gegen das Mehrheitsprinzip (das er "Usurpation" nannte) aufzurufen gedachte. In der Tat schwebte ihm im Jahre 1903 die Idee eines erfolgreichen Demagogen vor, um "die nationale Sache" vor der Demokratie zu retten (17). Und es gibt zahllose Belege dafür, dass sein Schüler, der britische Außenminister Neville Chamberlain, den "nationalistischen Demagogen" Hitler akzeptierte und in seinem aggressiven kontinentalen Expansionsdrang (von 1936 bis März 1939) ermunterte, um durch den Rassismus in Europa dem Unabhängigkeitsstreben und Widerstand der farbigen Untertanen des Empires entgegenzuwirken (18) - und nicht nur durch Schwächung der (zu jener Zeit "anti-imperialistischen) Sowjetunion (19). (Als Vizekönig von Indien nannte der spätere Lord Halifax Gandhis vorhersehbaren Tod "eine sehr glückliche Lösung" (K. Tidrick, S. 279f). Hitler riet dazu, Gandhi kurzerhand zu exekutieren (20). Neville Chamberlains Entscheidung, die tschechischen Befestigungslinien Hitler zu überlassen, wurde getroffen, nachdem Downing Street Informationen darüber erhalten hatte, dass Preußische Generäle einen Staatsstreich gegen Hitler planten (am 28. September 1938) (21).
Es war ein instinktives Gefühl von Wesensverwandtschaft, das Erkennen gemeinsamer Grundhaltungen und Überzeugungen zu Rasse, Staatsräson und Macht, von Intellektfeindlichkeit und Anti-Empfindsamkeit (zwar radikalisierte, jedoch von ihrer Public School-Ausbildung her vertraute Geisteshaltungen), welche die Faszination für Hitlers Reich bei Leuten wie den Neville Chamberlains erklären, den Sir Neville Hendersons, den Marquisen Londonderrys, den Sir Samuel Hoares, den Lord Lloyds und Lothians. Über den letzteren war in Hitlers Außenministerium aktenkundig seine "instinktiv richtige Einschätzung der Größe unseres Führers. Er sieht in ihm einen empire builder wie Cecil Rhodes. Lothian hat Sinn für die innere Verwandtschaft des deutschen und des britischen Herrschaftsanspruchs" (22). Oft wiederholte Hitler, dass das zu erobernde Rußland "Deutschlands Indien" werden sollte (23).
"Wir fragen uns vielleicht...warum in einem Land, wo der Kult von Führertum so einen hohen Stellenwert genießt wie in England, der Faschismus niemals Fuß fasste", schreibt die britische Autorin von Empire and the English Character", Kathrin Tidrick. Und sie antwortet. "Es gab das Empire ...als Ventil... Dort gab es immer braune Rassen zu führen" (°). Einst schienen solchem englischen Rassismus die Kelten beinahe genauso minderwertig wie "Nigger". "Wenn nur jeder Ire einen Neger töten - und dann dafür gehängt würde!" Dies war der Wunschtraum eines Edward Freeman im Jahre 1888 (24). Es war ein britischer Justizkommissar aus Indien namens B.C. Huntington Calcraft Kennedy, der 1924 unter dem Pseudonym "Al Carthill" den "administrativen Massenmord als eine Regierungsmaßnahme" zur Herrschaftssicherung empfahl (25).
Doch auf britischem Territorium entstand niemals eine SS. Mögen auch die wichtigsten Inhalte nationalsozialistischer Theorien auf englische Vorbilder zurückgehen, so sind die rassistischen Praktiken Hitlers (welche sowohl in Ausmaß wie in Systematik einmalig bleiben) mit denen der Briten völlig unvergleichbar. Obschon durch aus England stammende Gedanken angeregt - welche Hitler ins Extrem radikalisierte -, übertraf sein Deutschland den britischen Imperialismus bei weitem an Grausamkeiten. Diese Unterschiede resultierten aus entscheidenden ideologischen Gegensätzen - soziologischen, pragmatischen und theologischen: Die britische Gesellschaft und ihre Institutionen waren durch den Ersten Weltkrieg nicht kollabiert; und es gab keine totale Vernichtung von Werten wie im Deutschland der Zwischenkriegszeit. So rassistisch "the White Man´s Burden" auch war, so entbehrte der britische Imperialismus doch nicht völlig einiger Einzelpersönlichkeiten mit Sinn für moralische Verpflichtung gegenüber den "niedere Rassen". Dagegen verkündete Hitler bezüglich der im Ostraum - seinem Indien - vorgefundenen Bevölkerung: "Wenn einer von Betreuen spricht, den muß man gleich ins KZ stecken" (26). Sein "Alibi" war eine wichtige Gedankenschule des britischen Imperialismus. "Daß.... Kolonien zum Wohle der Herrenrasse existierten." Hitler wies andere britische Ansprüche, daß Kolonien "als gottgewollte Gelegenheit da waren, um gute Regierung zu exportieren," heftig zurück. Da in England etwas von der aristokratischen Geisteshaltung überlebt hatte, gab es dort keinen Raum für das von der unteren Mittelklasse kultivierte "Übermenschentum".
Mochte in England der Allmächtige auch als Engländer vorgestellt sein, so war zumindest Gott nicht tot - anders als im Deutschland der Philosophie Nietzsches und Heideggers (wo Himmler versprach, "mit dem Christentum fertig zu werden...dieser großen Pest..., die uns geschwächt hat." (27) Weit mehr als die Briten wurden die Deutschen zum Opfer ihrer verfehlten Unempfindlichkeit für Stärke.
(°) Kathryn Tidrick, Empire and the English Character, (London 1992), S. 246, 279f., 131
Zitierte Literatur
(1) Paul Hayes, "Contributions of British Intellectuals to Fascism" in: K. Lun & Richard Thurlow (Editors), British Fascism, London 1980, S. 168-186
(2) Hans Grimm, Heynade und England. Deutsch-englische Familiengeschichte 1880-1923 (Lippolsberg 1969), Vol. V, S. 351
(3) Adolf Hitler, Mein Kampf ,(München 1941), S. 154,155
(4) Hitler, Monologe im Führerhauptquartier, (Hamburg 1980), S. 383, 3. IX. 1943
(5) Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, (Frankfurt 1955), S. 273-274
(6) O.A.H. Schmitz, Englands politisches Vermächtnis durch Benjamin Disraeli (München 1916), S. 116, 333
(7) H. Arendt, S. 292,; V. Kiernan, Lords of Humankind (London 1969), S. 55
(8) H. Arendt, S. 126; Geoffrey Field, Evangelist of Race...Houston Stewart Chamberlain (New York 1981), S. 215
(9) Randall Bytwork, Julius Streicher (New York 1983), S. 133
(10) Joachim Köhler, Wagners Hitler, Prophet und Vollstrecker (München 1997), pp. 248-249, 125, 417; H.S. Chamberlain, Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, (München 1941), Vol. I, S.162; I (1915), pp. 550,542, 859, 864
(11) Joseph Goebbels, Tagebücher, Teil I, (München 1987), S. 72-73; 8. V. 1926; Georg Schott, H.S. Chamberlain, Seher des Dritten Reiches. Vermächtnis an das deutsche Volk (München 1936), S. 8
(12) Schott, S. 30: H.S. Chamberlain, "Der Wille zum Sieg" (1916)
(13) J. Goebbels, "Führerschicht": Nationalsozialistisches Jahrbuch (1930), S. 180
(14) J. Goebbels, Tagebücher, Teil I, pp. 72-73, 8. Mai 1926
(15) Geoffrey Field, Evangelist of Race. The Germanic vision of Houston Stewart Chamberlain (New York 1981), S. 463
(16) Charles W. Dilke, The Greater Britain, (London 1869), I, S. 130; II, S. 405
(17) H.C. Schröder, Imperialismus und antidemokratisches Denken. Alfred Milners Kritik am politischen System Englands, (Wiesbaden 1978), S. 62
(18) Hitler, Monologe, p. 193; 10. I. 1942; H. Rauschning, Gespräche mit Hitler (1940), S. 441; Manuel Sarkisyanz, Adolf Hitlers englische Vorbilder (Heidelberg 1997), pp. 207-218; H. Rauschning, Revolution des Nihilismus, (Zürich 1938); S. 372
(19) H. Rauschning, Revolution des Nihilismus, pp. 381-382; Horst Kühne, Faschistische Kolonialideologie, (Ostberlin 1962), S. 72; Günther Hecht, Rassegedanken in Kolonialpolitik: Deutscher Kolonialdienst, No 12 (1937), S. 2
(20) Ivonne Kirkpatrick, The Inner Circle. Memoirs, (London 1959), p. 97
(21) B.J. Wendt, München 1938. England zwischen Hitler und Preußen, (Frankfurt 1965), S. 36,30; Sarkisyanz, pp. 232-240; Neue Züricher Zeitung vom 22. IX. 1938, S. 5 col. 2
(22) Akten zur deutschen auswärtigen Politik. Vol. VI (Baden-Baden), S. 565: vom 8. Juni 1939
(23) Henry Picker (Editor), Hitlers Tischgespräche, (Stuttgart 1963), S. 143: 8./9. September 1941
(24) L.P. Curtis, Anglo-Saxons and Celts, (Berkeley 1968), S. 29 zitiert bei Hugh A. Mac Dougal, The Racial Myth in English History. Trojans, Teutons and Anglo-Saxons (Montreal 1982) S. 101
(25) Al Carthill, Verlorene Herrschaft (The Lost Dominion). Wie England Indien aufgab, (Berlin 1924), S. 98, 89
(26) Hitler, Monologe, S. 331: vom 6. August 1942
(27) Heinrich Himmler, Geheimreden 1933 bis 1945, (Frankfurt 1974), S. 159